Geschichte

Die Geschichte der Grünkerngewinnung im Bauland

das reff

Inhalt:

  • Wann wurde Grünkern erstmals erwähnt?
  • Warum wurden Körner gedörrt?
  • Warum wird Grünkern gerade im Bauland erzeugt?
  • Die wichtigsten Abschnitte der Entwicklung
  • Wie hat sich der Grünkernanbau entwickelt?
  • Wie geht’s weiter?
  • Literaturhinweise 

Das Nahrungsmittel Grünkern ist eine einzigartige Spezialität unseres Raumes und der Ort Boxberg spielt insofern eine zentrale Rolle, weil die Vereinigung fränkischer Grünkernerzeuger hier ihren Sitz hat und das Lagerhaus der Badischen Zentralgenossenschaft in Boxberg-Schweigern der größte Erfasser oder Aufkäufer von Grünkern ist.

 Wann wurde Grünkern erstmals erwähnt?

Die erste urkundliche Erwähnung des Grünkern stammt aus dem Jahre 1660, und zwar aus einer Kellereirechnung des Klosters Amorbach. Man kann aber aus anderen Schriften folgern, dass auch im Rhein-Neckar-Raum der Verzehr von im Backofen gedörrtem Getreide verbreitet war. Im Bauland scheint diese Sitte aber am stärksten ausgeprägt gewesen zu sein und hier war es auch, dass die Grünkernerzeugung industriell ausgebaut wurde und sich bis heute erhalten hat. Grünkern wird aus dem unreifen Dinkelkorn gewonnen. Zur Ietzten Jahrhundertwende hatte Dinkel als Brotgetreide noch eine große Bedeutung. Es war eine der Hauptgetreidearten in Südwestdeutschland. Botanisch ist Dinkel (Triticum spelta) mit einem sechsfachen Chromosomensatz wie auch der Weichweizen (Triticum aestivum) ausgestattet. Wildformen von Dinkel und Weichweizen kennt man nicht, weshalb man annimmt, dass er durch Mutation aus älteren Weizenarten wie dem Hartweizen (Emmer oder Triticum durum) mit 4-fachem Chromosomensatz oder dem Einkorn (Tritivum monococcum), einer steinzeitlichen Form, entstanden ist. Ebenso wie nicht ganz geklärt ist, wie Dinkel entstanden ist, ist auch sein Ursprungsland und Wanderweg zu uns nicht eindeutig geklärt. Wahrscheinlich ist, dass Dinkel über die Römer aus dem Kaukasus in den süddeutschen Raum gebracht wurde. Offensichtlich hatte er dann bei den Alemannen eine besondere Bedeutung, auch in dem Gebiet der heutigen Schweiz. Mit den Donauschwaben kam er auch nach Ungarn. Eine große Bedeutung behielt Dinkel aber auch als Futtergetreide im südlichen Belgien, dem Ardennengebirge.

 

Warum wurden Körner gedörrt?

So wie sich die moderne Landwirtschaft in nassen Sommern mit ölbeheizten Trocknungsanlagen hilft, das Getreide soweit zu trocknen, dass es längere Zeit gelagert werden kann, so hat man sich früher mit den gegebenen Mitteln auch geholfen. Vor allem in den nördlichen Ländern hat man häufig nachgeholfen, wenn wegen des kurzen Sommers oder wegen schlechten Wetters das Getreide nicht trocken und reif genug geerntet werden konnte. Mit Feuerkraft wurde in eigens angelegten Getreidedarrgruben, in Badehäusern oder in Darrhäusern nachgeholfen, während für nord- und mitteldeutsche Bauernhäuser bis vor zweihundert Jahren die räumliche Nähe von Getreidelager und häuslicher Feuerstelle in der Tenne mit Einbeziehung der Rauchauswirkung und der Wärme aus dem links und rechts der Tenne liegendem Stall für die Trocknung des Getreides genutzt wurde.

Wie kam es nun zur Besonderheit, dass grüne Körner im Backofen gedarrt wurden? Dass sich aus gedarrten grünen Körnern sehr wohlschmeckende Speisen zubereiten ließen, war wohl leicht festzustellen. Besonders von der Kurpfalz ist es bekannt, dass sie dort zu Festmahlzeiten verwendet wurden. Ein anderer Grund war die Vorsorge für die gesunde Ernährung aus medizinischer Sicht. 1588 beschreibt ein kurpfälzischer Leibarzt den Darrprozess von Roggen und Weizen, was darauf hindeutet, dass sich die Medizin damals mehr als heute mit der Ernährung durch Grundnahrungsmittel befasst hat.

Die Bedeutung der gedarrten grünen Körner bei Festspeisen in früheren Zeiten ist auch wohl dem Umstand zuzuschreiben, dass damals die Beilagen zu Fleisch, etwa Mehlspeisen oder Gemüse, wohl sehr einfach ausgefallen sind und vor allem wegen dem Fehlen von feinem Mehl und Zucker in großer Menge Nachspeisen oder Kuchen wie man sie heute kennt, auch nicht vorhanden waren. Gedarrte grüne Körner waren deshalb eine willkommene Bereicherung für die Zubereitung sehr leckerer Sonntag- oder Festmahle.

Eine andere These ist, dass in sehr frühen Zeiten, auf jeden Fall bis zum Mittelalter und möglicherweise aber auch bis in die Zeiten des fürstlichen Absolutismus, durch den Flurzwang die Voraussetzungen geschaffen waren, Jahr für Jahr einen kleinen Teil des Getreides unreif zu ernten und somit jedes Jahr auch die Möglichkeit zu haben, grüne Körner darren zu können oder zu müssen. Durch den Flurzwang wurde jährlich abwechselnd jeweils ein Drittel des ackerfähigen Landes mit Wintergetreide oder Sommergetreide bestellt. Neben dieser Viehweide gab es in der Regel noch den als Allmendland (zur Allgemeinverfügung) genutzten Wasen als Weideland. Es fehlten aber im Gegensatz zu der großen Bedeutung die sie heute haben, die Feldwege, mittels derer jeder Acker individuell angefahren werden kann. Sie waren ja auch außer in Erntezeiten nicht erforderlich. Ersatzweise wurden kurz vor der Ernte Schneisen als Zugang zu den einzelnen Feldern gemäht, damit die einzelnen Feldpartien entsprechend ihrer Reife nach gemäht und auch abgefahren werden konnten.

Der Flurzwang wurde sowohl durch die Einführung des Kleeanbaues, aber auch später der Hackfrüchte wie Rüben und Kartoffeln auf der Brachflur, wie in zweiter Linie durch die Bauernbefreiung, die sich infolge der Französischen Revolution bei uns in der Zeit von 1803 bis etwa 1850 vollzog, abgeschafft. Zumindest seither sind Feldwege bis an jedes Grundstück erforderlich und auch vorhanden.

 

Warum wird Grünkern gerade im Bauland erzeugt?

Dinkel hat auf dem mageren Boden in rauerem Klima mehr Bedeutung. Entsprechend wird er auch außer im Bauland auf der Schwäbischen Alb, in der Nordschweiz und in den Ardennen angebaut. Die Grünkernerzeugung hat sich jedoch nur im Bauland so stark entwickelt. Wo liegen aber die Unterschiede zum Beispiel zur Schwäbischen Alb? Die industrielle Entwicklung, die in der Mitte des vorigen Jahrhunderts richtig einsetzte, hat vor allem auf der Westalb zur Bildung einer bedeutenden Textilindustrie und Maschinenbau um Reutlingen geführt. Im Bauland ist die Bevölkerung dagegen in den Mannheimer Raum zu dieser Zeit abgewandert. Die bäuerliche Bevölkerung des Baulands hat mit der Grünkernwirtschaft eine Intensivierung betrieben insofern, als sie mit erhöhtem Arbeitseinsatz sich neue Verdienstchancen erschloss. Dies war jedoch nur möglich, weil man vor allem in der Kurzpfalz einen Absatz für den Grünkern fand. Es waren also die Konsumgewohnheiten der Region und die durch die Bevölkerungswanderung entstandenen Bindungen mit entscheidend. Voraussetzung aber, dass der Grünkern nicht nur für den Hausgebrauch, sondern auch für den gewerblichen Handel erzeugt wurde, war auch das Vorhandensein der jüdischen Kaufleute in dieser Region. Mit Hilfe ihrer Flexibilität versorgten sie nicht nur den traditionellen Verbraucherkreis, sondern regten die industrielle Gewinnung und Verarbeitung an und eröffneten den Export vor allem nach Amerika, wo sie die grünkerngewohnten Auswanderer aus dieser Region mitversorgten.

 

Die wichtigsten Abschnitte der Entwicklung

Bis etwa 1850 wurde Grünkern hauptsächlich im Backofen und für den häuslichen Gebrauch gedarrt. Ab 1850 erfolgte die Suche nach größeren Darrleistungen auf Malzdarren von Brauereien, in Ziegelhütten, in Kalköfen und auf Darren, die der Flachs oder Hanfverarbeitung dienten. Ab 1860 entstanden eigenständige Grünkerndarren in Höpfingen, Altheim, Rinschheim, Hemsbach, Rosenberg (1870) und Osterburken. Die Marktorientierung hatte besonderen Auftrieb durch jüdische Händler in den ehemals ritterschaftlichen Orten wie Bödigheim erfahren, die außerordentlich dynamisch waren. 1880 entstand in Walldürn und 1894 in Buchen je ein Grünkernmarkt mit Gründung einer Absatzgenossenschaft. Beide waren aber nicht erfolgreich und stellten ihre Aktivitäten wieder ein.

Die Firma Knorr in Heilbronn (1838 gegründet), handelte seit 1867 mit Grünkern und stellte seit 1872 Suppen mit Grünkernmehl her. Seit etwa 1870 erschloss die Eisenbahn auch das badische Hinterland, vor allem aber ermöglichte die Eisenbahn den Warentransport in großem Stil innerhalb Europas.1890 schaffte der Nachfolger Bismarcks, Reichskanzler Caprivi, die Schutzzölle für Getreide ab. In der Folge fanden Getreideimporte aus Ungarn und USA statt und die Getreidepreise fielen. Bauern waren verstärkt gezwungen, nach Einkommensalternativen zu suchen. Die Blütezeit der Grünkernerzeugung war zwischen 1870 und dem ersten Weltkrieg. Die Produktion wurde bis auf 6.000 Tonnen jährlich gesteigert. Das ehemalige Kerngebiet der Erzeugung, etwa abgegrenzt durch die Orte Walldürn – Hardheim – Pülfringen – Osterburken fand eine Erweiterung bis Mosbach, Eiersheim, Assamstadt, Schüpfergrund.

Der Niedergang des Weinbaus zum Ende des vorigen Jahrhunderts wegen der Reblaus und Abwanderung der Bevölkerung in Industriezonen und nach Amerika trug in den Weinbaustandorten in dieser Zeit zur Ausbreitung der Grünkerngewinnung bei. Ein Vorteil der Weinbaulagen war auch, dass sie wegen der frühzeitigen Reife auf den wärmeren Standorten günstigere Preise aus der jeweils neuen Ernte erzielen konnten.

Kurz vor dem ersten Weltkrieg gab es sehr starke Preisschwankungen, weil neben den Bauern auch große Gutsbetriebe Grünkern erzeugten und den Markt sehr ungleichmäßig versorgten. Die um die Jahrhundertwende gegründeten landwirtschaftlichen Bezugs- und Absatzgenossenschaften wurden in die Pflicht genommen, die jeweilige Überproduktion aufzukaufen. Eine Änderung fand auch dahingehend statt, dass der Grünkern nicht mehr von Aufkäufern auf dem Halm, also sozusagen vor der Ernte gekauft wurde, sondern dass die Bauern selbst darrten und an die Genossenschaften verkauften. Zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg wurde 1929 eine Grünkernerzeugergemeinschaft gegründet. Sie sorgte für einheitliche Qualitätsmaßstäbe (Bonitierung), bewirkte eine freiwillige Mengenbeschränkung der Erzeugung auf 2.600 Tonnen und sie betrieb Absatzwerbung. Während des zweiten Weltkrieges wurden jährlich 3.500 Tonnen erzeugt. Die Fabriken Knorr, Maggi, Fränkische Nährmittel in Hardheim und Schüle in Gerabronn nahmen etwa die Hälfte der Erzeugung auf. Nach dem zweiten Weltkrieg hatte die Grünkernerzeugung ständig abgenommen bis auf etwa 500 Tonnen Mitte der 70er Jahre. Der Export nach Amerika wurde um so weniger, wie von den ehemals ausgewanderten Deutschen die Nachfrage abnahm. Während in den 60er Jahren noch etwa 50 Tonnen exportiert wurden, ist der Export in den 70er Jahren eingestellt worden. Einen bescheidenen Aufschwung hat die Grünkernerzeugung durch die Technisierung in den 60er und 70er Jahren erfahren. Mit dem Einzug des Mähdreschers wurde der Reffkasten überflüssig. Das hat auf dem Feld den Großteil der Arbeit erspart. Der Reffkasten war ja seit seiner Einführung durch einen Schmied aus Bofsheim 1882 über viele Jahrzehnte die Standardausrüstung.

Einen noch größeren Schub der Mechanisierung brachte aber der Bau moderner Darranlagen Ende der 70er Jahre. Es waren zu diesem Zweck etwas umgebaute Getreidetrocknungsanlagen, die es jetzt ermöglichten, dass einzelne Landwirte bereits mehrere Hektar Dinkelanbau zu Grünkern verarbeiteten. Mitte der 80er Jahre war es dann die Vollwertkostwelle, die die Grünkernerzeugung etwas Zukunft wittern ließ, oder vielleicht dazu beitrug, dass viele Erzeuger von einer blühenden Zukunft geträumt haben. Die Grünkernerzeuger waren bis 1990 fast alle in der Vereinigung fränkischer Grünkernerzeuger Boxberg e.V. organisiert, die im wesentlichen die Aufgabe der früheren Erzeugergemeinschaft weiterführte. Sie ist auf Initiative des ehemaligen Direktors des Landwirtschaftsamtes Boxberg, Christoph Hörner, in den sechziger Jahren gegründet worden.
Nachdem es Mitte der 80er Jahre eine leichte Belebung der Nachfrage durch die schon erwähnte Vollwertkostwelle gegeben hat, und nachdem die Preise für Grünkern durch Verträge zwischen der Vereinigung und der Zentralgenossenschaft in Karlsruhe stabil und hoch waren, war dies ein Anreiz für viele Landwirte, neue Darranlagen anzuschaffen. Innerhalb von zwei Jahren steigerte sich die Gesamterzeugung von etwa 800 Tonnen auf fast 3.000 Tonnen. Die Katastrophe war perfekt. Eine Mengenbegrenzung hatte es nicht gegeben, weil die Verträge durch die Genossenschaften abgeschlossen wurden und erst kurz vor der Ernte dann der Vereinigung übergeben wurden.

1991 wurde dann eine strenge Mengenregulierung durch die Vereinigung vorgenommen. Weil einige Erzeuger und auch vermarktende Handelsbetriebe sich daran nicht beteiligten, kam es zur Spaltung. Heute hat die Vereinigung zwar noch etwa 100 Mitglieder. Diese erzeugen aber nur etwa die Hälfte dessen, was an Grünkern vermarktet wird. Die andere Hälfte wird von wenigen größeren landwirtschaftlichen Betrieben und auch von alternativ wirtschaftenden landwirtschaftlichen Betrieben erzeugt. Insgesamt wird es wohl eine Menge sein, die etwa bei 800 Tonnen je Jahr liegt.

 

Wie geht es weiter?

Wie es weitergehen wird, ist schwierig vorherzusagen. Ohne Werbung und Aufklärung wird der Grünkern auf dem Speisezettel langsam aber sicher verschwinden. Wir leben in einer Zeit, in der der Konsument von allen Seiten, von allen Qualitätsstufen und aus allen Ländern mit Nahrungsmitteln aller Art umworben wird. Grünkern hätte auch besonders bei moderner Ernährung seinen Platz, als Grünkernküchle, eine gesunde Alternative für den Hamburger, im Kuchen mit dezentem Grünkernrauchgeschmack, bei pikanten Speisen als Beilage oder nach alter Tradition in der Suppe. Die Erzeugergemeinschaft gibt sich bei der Werbung alle Mühe. Die alternativ organisierten Erzeuger bedienen ihren traditionellen, oft auch stärker vegetarisch ausgerichteten Markt und die anderen Erzeuger versuchen am Markt mit kleinen Preisnachlässen unterzukommen. Es würde sicher dem Grünkern dienen, wenn sich die drei Gruppen für die Weiterentwicklung der Erzeugung und Vermarktung zusammenfinden könnten.


Literaturhinweise

1.) Kühne, Ingo; Die Grünkernwirtschaft im Bauland, Taubergrund und Jagsttal, in: Berichte zur deutschen Landeskunde 322/1964 S. 234-252.

2. ) Baumann, Debora; Grünkern und sein Anbau – eine alte Kulturpflanze im Bauland, Zulassungsarbeit 1989 an der pädagogischen Hochschule Karlsruhe.

3.) Bleher, Andrea; Erzeugung und Vermarktung von Qualitätsgrünkern im Bauland, Diplomarbeit an der Fachhochschule Nürtingen 1989.
Aus: Mein Boxberg, Jahresheft des Heimatvereins Boxberg, Nr.30, 1996, S.17-23